Irgendwas stimmt hier nicht – Lügen

Hier (eventuell) der Beginn meiner kleinen Reihe: „Irgendwas stimmt hier nicht“, in der ich Beispielsätze aus Texten, die mir unterkommen, auseinandernehmen und erläutern werde, warum sie in Haus- oder Bachelorarbeiten nichts verloren haben. Zitat Nr. 1:

Lügen sind altbekannt und keiner kann sich von ihnen freisprechen.

Dieser Satz stammt aus der Einleitung zu einer Abschlussarbeit, die sich leider ingesamt eher im unteren Drittel der Notenskala befand. Thema sollte „Die Lüge“ sein, die aus den Blickwinkeln unterschiedlicher Disziplinen beschrieben und mit Hilfe einer Fragebogenstudie zum Gebrauch und Erkennen von Lügen auf ihre sprachlichen Realisierungsformen hin untersucht werden sollte. Dass an der ganzen Themenwahl und dem Aufbau der Arbeit etwas nicht stimmt, kommt später noch mal zum Tragen.

Einleitungen sind besonders ergiebige Quellen für solcherlei Sätze. Einleitungen sind aber auch verdammt schwierig. Sobald einem nicht absolut hundertprozentig klar ist, warum man über was schreibt und mit welchem Ergebnis, muss man da ein bisschen rumeiern, das weiß auch jeder Gutachter. Gerade in den Geisteswissenschaften verspürt man an dieser Stelle zusätzlich eine Art Rechtfertigungsdrang, wieso man sich überhaupt mit „sowas“ und nicht mit kranken Menschen, Umweltkatastrophen oder Zukunftstechnologien beschäftigt. Und obwohl man diesen Zwang verspürt, ist die Einleitung nicht der richtige Ort, um die gesamte Wissenschaftsgeschichte aufzurollen und zu zeigen, was Geisteswissenschaften alles können.

Mit dieser Schwierigkeit kann man schon mal zwei der deplatzierten Phänomene des Zitats begründen: das „altbekannt“ und das „keiner kann“. Das ist der Versuch, die Relevanz des Themas über das eigene Interesse hinaus herbeizubeschwören.

Aber es geht noch weiter: „sich freisprechen“ beinhaltet ja schon eine Abwertung der Lüge. Wir wissen also (spätestens) ab dieser Stelle, was die Autorin oder der Autor vom Lügen hält. Das ist aber mit der wissenschaftlichen Neutralität nicht zu vereinbaren. Ich erwarte, dass sich dem Untersuchungsgegenstand unvoreingenommen gewidmet wird, dass die persönliche Einstellung zur Sache eben gerade nicht spürbar wird. Sonst liegt schnell der Verdacht nahe, hier wird ein persönliches Erlebnis verarbeitet und nicht (zumindest der Versuch von) Wissenschaft betrieben.

Wie hätte also ein solcher Einleitungssatz nun aussehen können? Ganz einfach ist das nicht, aus oben dargelegten Gründen. Was man aber meist ganz gut machen kann, ist Folgendes: sich noch mal ganz genau überlegen, warum man mit der Arbeit an dem Thema anfangen hat, die ersten Kapitel noch mal lesen und auch den Schluss. Und dann zusammenfassen, was man vorher über das Thema wusste und was man jetzt dank der Arbeit weiß. Also z.B.:

„Die Unwahrheit sagen“, „sich herausreden“, „flunkern“ und „betuppen“ sind sprachliche Handlungen, die ihrem Wesen nach paradox sind: der Ausführende äußert etwas, von dem er weiß, dass es nicht der Wahrheit entspricht, von dem er aber trotzdem fordert oder erhofft, dass es sein Gegenüber wie die Wahrheit behandelt, also glaubt. Wie in der Kommunikation mit diesem Paradoxon umgegangen wird, welche Funktionen solche Handlungen haben können, ob sie immer sprachliche Handlungen sind und wie sie begrifflich eingegrenzt werden können, soll im Folgenden erläutert werden.

Oder so ähnlich… Jedenfalls: Thema ist eingeleitet, Bezug zum Alltag ist da und das Grundgerüst der Arbeit ist auch skizziert, da kann man weiter machen. Leicht wird Einleitungen schreiben meiner Ansicht nach aber trotzdem nie.

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