Vom Behalten

Der Untertitel lautet ja „Vom Suchen, Finden und Behalten“ und mit der Filmerei bin ich eindeutig beim Behalten. Interessanterweise hätte ich mir beinahe kurz vor der Abreise noch eine analoge Spiegelreflex gekauft, wenn ich ein gutes Angebot gefunden hätte. Ich hatte irgendwie das Bedürfnis, diese Zeit hier analog festzuhalten. Der Gedanke, nicht genau zu wissen, was man da „ablichtet“, gleichzeitig die irgendwie „größere Nähe“, die ich mit Abbildungen auf Papier in Verbindung bringe, die zum Nachdenken zwingende Knappheit der Ressourcen. Das alles klang verlockend. Zudem kam die Erinnerung an meinen England-Aufenthalt vor zehn Jahren wieder hoch, was so ziemlich das letzte Ereignis war, das ich analog festgehalten habe. Dabei ist z.B. dieses fröhliche Foto von mir entstanden:

Das ist übrigens nicht das Badezimmer, sondern mein WG-Zimmer, in dem halt auch meine Dusche drin rumstand.

Gestern nachmittag also durfte ich selbst mit einer geborgten Kamera und einem einzigen, 3:20 Minuten langen Farbfilm Aufnahmen machen. Erst habe ich noch versucht, mir ein simples Konzept zu überlegen (ich filme einen „Tagesablauf“), doch schon ziemlich schnell musste ich diesen Plan wieder über Bord werfen, drei Stunden sind einfach zu wenig für ein 1-Frau-Filmteam. Also bin ich einfach so an die mir wichtigen Orte gegangen und habe sie in knappen 5-Sekunden-Schnippseln festgehalten.

Ich wollte irgendwie konservieren, was ich jeden Tag sehe, denn ich glaube, das vergisst man am schnellsten. Die aussergewöhnlichen Ereignisse bleiben in Erinnerung, aber was man täglich vor Augen hat, die Bushaltestelle, der Kaffee, das Büro, verblassen. Gleichzeitig fand ich irgendwie die Absurdität witzig, mit einer uralten Kamera in einem umständlichen Verfahren wenige Aufnahmen zu machen, wenn ich das Kamera-Handy in meiner Tasche habe. Mit einer Kamera, die für Urlaubsreisen und Hobbyfilmer entwickelt wurde, die als „handlich“ galt und viele deutsche Familien sicher auch in die Schweiz begleitet hat. Diese JETZT zu nutzen, einerseits in ihrer gedachten Funktion, in ihrer „gewohnten Umgebung“, nämlich den touristischsten Schauplätzen, zur Dokumentation des schönen Wetters und der tollen Aussichten, und andererseits aber doch zweckentfremdet, denn ich bin kein Tourist. Ich habe ein Bett und ein Büro, aber ich hänge doch zwischen Einwanderer und Tourist in einer Mittelkategorie. Das also hat mich interessiert.

Und es ist mir furchtbar schwer gefallen. Egal wo ich den riesigen, und wenn er filmt, auch nicht gerade leisen, Klops aus meinem Rucksack gezerrt und vor mein Gesicht gehalten habe, wurde ich angestarrt. Ich tauge definitiv nicht zur Kamerafrau im öffentlichen Raum, jedenfalls ist es alleine ziemlich blöd. Man darf schon nicht sehr schüchtern sein, wenn man filmen will. Da ist so ein Handy doch dezenter. Ich habe lange überlegt, nach Ausschnitten und Szenen geguckt, immer wieder gedacht „DAS Geräusch wäre cool – ach nein, ist ja Stummfilm“, dann musste ich ewig lange scharf stellen (wenn ich wieder mal sowas mache, besorge ich mir vorher eine Augenklappe) um dann für 5 Sekunden zu filmen. Dann nix wie einpacken und weg. Diese Momente direkt vor der Aufnahme, waren wohl die aufregendsten. JETZT zählt es, DAS geht nicht mehr weg, NICHT so doll atmen! Stille stehen.

Aber jetzt liegt der Film im Kühlschrank. Leider kann ich noch nichts präsentieren, denn er ist noch nicht entwickelt… Doch wenn auch das passiert ist, habe ich etwas, wenn nicht für die Ewigkeit, so zumindest für die nächsten 30, 40 Jahre, bis meine Kinder ins Nostalgiefieber verfallen und meine alten Super8-Filme sehen wollen. Dann wird es diesen Text hier wahrscheinlich schon nicht mehr geben.

Behalten ist gut, behalten ist wichtig, ein Hoch aufs Analoge.

Ein Gedanke zu „Vom Behalten“

  1. Ja. Ich hab das ja auch erst spät erkannt. Die Dinge. Die Gegenstände, die man von Wohnung zu Wohnung schleppt haben eine Funktion. Sie sind ein Teil Deiner Vergangenheit, jener Birte, die Du mal warst. Und diese Dinge sind da, um Dich daran zu erinnern. Und das tun sie am besten, wenn sie Dich im wahrsten Sinne des Wortes umgeben.

    Unsere Blogs und das Netz sind auch schön und auf eine andere Form allanwesend. Aber. Es ist halt eine andere Form von Anwesenheit. Und was die Anwesenheit angeht, geht halt nichts über das dasein im Raum, über’s Raum einnehmen.

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