Eine Geschichte der O.*

Zürich, späte 50er Jahre. Eine gewisse Heidi Weber ist jung, reich und schwärmt für den berühmten Architekten Le Corbusier. Eines Tages im Jahr 1958 beschliesst sie, ihn aufzusuchen, der, inzwischen 71 Jahre alt und frisch verwitwert, in Frankreich lebt. Was genau sie von ihm möchte, können wir nur erahnen. Grund des Besuchs ist der Wunsch, Le Corbusiers Möbel in Serie zu produzieren und zu vertreiben. Es ist nicht schwer sich vorzustellen, wie die junge Dame in ihren 20ern den von ihr verehrten Herrn um den Finger wickelt, sei es aus echter Bewunderung für das Werk, aus Sehnsucht nach einer Vaterfigur oder kühlem wirtschaftlichem Interesse.

Sie bekommt die Rechte. Sie produziert die Möbel, erst selbst, später durch eine italienische Firma. Sie verdient sich eine zweite goldene Nase.

Gleichzeitig kämpft sie für die Anerkennung von Le Corbusier, der ihrer Meinung nach völlig unterschätzt und schlecht behandelt wird.

„Sie sind ein integrer Mensch voller Enthusiasmus und Beharrlichkeit.“

Das schreibt er über sie. Man kann es auch als: „Sie sind hysterisch und gehen mir auf die Nerven“ interpretieren. Muss man aber nicht.

Nach dem Möbel-Projekt braucht Heidi weitere Gründe, sich mit ihrem Idol zu treffen. Geld ist mehr als genug da, also beschliesst sie, ihm einen Auftrag für ein Wohnhaus zu geben, dass er am Zürichsee, an der damals schon edlen „Goldküste“, realisieren soll. Die Stadt Zürich reagiert zurückhaltend. Heidi setzt sich durch, ist jedoch entsetzt über die Ignoranz der Stadt und liegt fortan mit ihr im Clinch. Das Haus wird entworfen. Heidi Weber bekommt einige Drucke von Le Corbusier geschenkt und veräussert sie, wenn es notwendig ist, denn die Kosten der Baumassnahmen übersteigen um das Dreifache die Planungen und Heidi steht kurz vor dem finanziellen Ruin. Die Stadt Zürich interessiert das alles wenig, was für weitere Entrüstung bei ihr sorgt.

Das Haus wird trotzdem gebaut, eröffnet wird es erst zwei Jahre nach dem Tod von Le Corbusier. Es wird mehrfach versucht, das Gebäude an die Stadt Zürich zu verkaufen. Diese zuckt mit den Schultern. Le Corbusier hat sein Erbe einer Stiftung (nicht Heidi) hinterlassen, jahrelange Rechtsstreitigkeiten nehmen ihren Anfang.

Als Wohnhaus geplant, steht es meist leer und ist nicht zugänglich. Irgendwann wird es dann als „Privatmuseum“ genutzt, oder besser als Ausstellung von Frau Webers Besessenheit. Die (zumindest gedankliche) Nähe Le Corbusiers zur Vichy-Regierung und Nazi-Deutschland vollständig ignorierend (ebenso wie seinen umstrittenen Umgang mit Mitarbeitern, deren Entwürfen und Rechten) werden distanzlose Texte neben Teilen ihrer Sammlung präsentiert. Möchte man das mal gesehen haben, darf man den gepfefferten Eintrittspreis von 15 CHF hinblättern. Dafür bekommt man wenig Le Corbusier (vom Ort mal abgesehen – eindrucksvoll aber, vor allem vor dem Hintergrund der Orientierung an Zweckmässigkeit, ziemlich unpraktisch, eng, durchsichtig) und viel Heidi gezeigt. Und man erfährt, dass die „Verbindung“ zwischen den beiden hauptsächlich über Händedrucke bestand, über die er an sie „Botschaften“ vermittelte, die sie dann in seiner Architektur und Malerei „wiedererkannte“ (das steht da ernsthaft so, fast noch esoterischer).

Dieses Privatmuseum ist ein schönes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man über zu viel Geld, Selbstvertrauen und Zeit und zu wenig Altruismus verfügt, um damit wirklich Gutes zu tun. Oder wie meine Mutter sagen würde: „Die spinnt e bissl.“ Kommt hier in der Schweiz, glaube ich, öfter mal vor. Nichtsdestotrotz: wer das Geld übrig hat, für wen Le Corbusier das Nonplusultra ist, der kann sich das ruhig mal angucken.

* O wie Obsession

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