Into the Wild

Gesamturteil: Zwiespältig. Ich kann voll und ganz verstehen, warum ben_ den Film so mochte. Doch das gehörte eher in sein Blog als in meins.

Sagen wir mal so: ich hab den Film mit völlig anderen Voraussetzungen in einer völlig anderen Situation gesehen und wahrscheinlich deshalb zumindest ziemlich anders verstanden. Die meiste Zeit ging mir die Hauptfigur ziemlich auf den Sack. Es wird im Film ja auch erst sehr spät deutlich, worunter er eigentlich litt und so sieht man die ganze Zeit ein zusammenhanglose Zeilen zitierendes Bürschchen, dem alle, aber auch wirklich alle wohlgesonnen sind, der alte, junge, Männer, Frauen, (sogar Bären) alle verzaubert und dazu bringt, sich ihm anzunehmen. Erst im letzten Drittel kriegt er mal ein bisschen auf die Fresse, und dann, wenn der Fluss unüberquerbar wird, weiss man, jetzt kommt die Rechnung.

Natürlich fängt man an, über die Motive nachzugrübeln, warum jemand so leben und sterben will, obwohl das mit dem Film selbst ja vielleicht gar nicht so viel zu tun hat. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass man schon mit viel weniger Grund einen Hass auf und Ekel vor der Gesellschaft im Speziellen und Menschen im Allgemeinen entwickeln kann. Ich kann das auch – ich gehe dann zwei, drei Tage nicht aus dem Haus. Warum aber die Abkehr von zivilisatorischen Dingen wie Häusern, Strom, Geländekarten, Werkzeug und Grundnahrungsmitteln heilsbringend sein soll, wohingegen Gewehre durchaus okay sind, das will sich mir nicht erschliessen.</p

Natürlich geht es nicht nur darum, die Zivilisation abzulegen, sondern auch drum, bei diesem ganzen „Gesellschaftsspiel“ mitzumachen – oder eben nicht. Nicht mitspielen sieht wahrscheinlich wie die konsequenteste und sauberste Lösung aus – mir scheint das aber ein Trugschluss zu sein. Selbst die Regeln mitzubestimmen, zumindest im kleinen, halte ich da für den gesünderen und auch erfolgreicheren Weg um mit sich und seiner Umwelt ins Gleichgewicht zu kommen.</p

Wer Natur nicht geniessen kann, wenn er sie sieht – sondern nur, wenn er wochenlang unter schlimmsten Bedingungen drin lebt, der tut mir sowieso leid.

10 Gedanken zu „Into the Wild“

  1. Naja … zwei bis drei Sachen darf man dabei nicht übersehen.

    1. Das Ende. Er stirbt ja nicht einfach nur. Er stirbt ja in dem Wissen und der Überzeugung, dass sein Drang nachdem alleinesein ihn in die Irre geführt hat.

    2. Das mag vielleicht eine romantische Idee sein. Aber ich habe von meinen ersten Kanu-Touren an sofort und unmissverständlich das Leben „in der Natur“ also abseits von Straßen, Häuser und anderen Menschen als jenen, mit denen man unterwegs ist, als zutiefst befreiend, reinigend, heilend und gütig empfunden. Wenn man Tage lang oder sogar wochenlang außer dem oder den Menschen, die mit einem Unterwegs sind praktisch nur das Reine Werk der Evolution sieht – das rückt vieles zurecht.

    3. Nicht zu vergessen handelt es sich dabei um eine wahre Geschichte.

  2. Und jetzt erstmal den Soundtrack an! Eddie Vedder nochmal ganz groß.

    Schön auch, dass ein Grunge-Veteran aus Seattle schließlich die Musik zur Verfilmung des Buches von Jon Krakauer macht, der ebenfalls Seattler ist …

  3. Ich wollte ja gerade nicht zu viel über den Menschen schreiben, der dem Film zu Grunde liegt, weil ich finde: das steht mir nicht zu, ich kenn den ja nicht. Was ändert denn die Tatsache, dass es eine „wahre Geschichte“ ist, am Film und wie er gemacht ist?

    Ich kann Natur prima auf Tagesausflügen geniessen. Wart mal ab, bis wir zusammen den Strand von Aquitanien abschreiten. Da brauchste hinterher keinen Zelturlaub mehr.

    Und schliesslich: ich hatte schon eine freche Bemerkung zur Musik hingeschrieben, und dann doch wieder gelöscht… Ähäm. Naja. Lassen wir das lieber

  4. als großen fan des films, drängen sich mir auch 2-3 dinge auf:

    der film ist so großartig weil er das verhältnis von mensch und natur spiegelt. sind wir von der natur so entfremdet, dass uns tagesausflüge genügen um natur zu konsumieren? ist natur „heilend und gütig“ oder eher unberechenbar und kalt? wie viel zivilisation brauchen wir zum glücklichsein? haben wir überhaupt noch den mut in natürlichen rhythmen zu leben? da könnte ich jetzt noch dutzende fragen stellen – das löst der film bei mir aus.

    das bürschchen macht ganz am anfang – gerade für uns deutsche – das so ziemlich mutigste überhaupt: alles komplett abbrechen und jegliche sicherheit aufgeben. insofern bin ich gar nicht böse wenn ihm gutes widerfährt.

    der film ist allerdings primär ein vehikel für die romantik. das ist der wahre hintergrund auch reichlich wurst. futter für die hungrige seele, die sich im betrachten einer wiese verlieren kann; die sich beim zuhören eines baches keine schönere musik vorstellen kann; die sich beim beobachten von feuer und wolken und nebel berührt fühlt. insofern ist der film vielleicht nur für unverbesserliche naturromantiker schön.

  5. An dem Film wird eins deutlich: wie furchtbar unterschiedlich wir Menschen sind.

    So leuchtet mir z.B. die Unterscheidung Mensch/Natur nicht richtig ein. Auch mit natürlich/künstlich habe ich übrigens ein Problem. Für mich sind Menschen ein Teil der Natur. Alle, Immer. Egal, was wir anstellen. Und deswegen kann ich den Blick aus der Uni Bielefeld genauso geniessen (oder eben auch nicht, ich bin ja auch nicht immer entspannt), wie den Blick über Wälder oder Ozean. Ich sehe immer Welt. Ich halte das nicht für Entfremdung. Da ist meine Spinnenphobie schon eher ein Argument in deine Richtung.

    Ich verstehe auch nicht, wieso zum Naturgenuss unbedingt Tiere töten gehört. Das macht im Film ja auch einen großen Teil aus und war einer der Auslöser, dass ich dachte: Moment mal. Hier verläuft eine komische Grenze. Ist das „Einklang“ mit der Natur?

    Auch finde ich es nicht immer gut, wenn Mut belohnt wird und man sollte Mut auch nie mit Leichtsinn verwechseln. Gerade letzteres zeigt der Film ja sehr schön. Ich glaube auch, jede Nation bringt ungefähr den gleichen Prozentsatz Aussteiger hervor. Vielleicht wäre es von dem jugen Mann noch mutiger gewesen, sich der Auseinandersetzung mit den Eltern zu stellen, um am Ende vielleicht sogar zu erkennen, dass sie keine bösen Monster, sondern – genau wie er selbst – schlicht von der Welt überfordert waren. Aber solcher Art Mut wird leider in keiner Gesellschaft sonderlich Aufmerksamkeit gezollt.

    Und zu deinem letzten Punkt: ja. Da gehör ich schlicht nicht dazu 🙂

  6. Der Drang zum Aufbruch in die Wildnis, auch mit dem Gedanken der Reinigung, und die Selbstaskese ist dem amerikanischen Pioniergeist (sofern er nicht durch Politik infiltriert wurde) ja eingeschrieben – Thoreaus “Walden“ ist Kult.

    Tiere töten gehört unabdingbar dazu – ohne keine Ernährung, wenn ich auf Individualstufe unterwegs bin. Erst eine Siedlung (dh Gruppe) erlaubt die arbeitsteilige Produktion. Für mich gehört gerade diese Tatsache wesentlich zur Charakterentwicklung – in letzter Konsequenz für sich sorgen. Unser ökologisch bewusster, moderner Lebensstil ist sehr stark abhängig von einer Gesamtgesellschaft, die uns die Ressourcen zur Verfügung stellt. Deine Curry -Tofu-Ersatzwurst ist nur mit direkter Lieferkette aus Südostasien denkbar.

    Ohne jetzt auch noch eine Genderdebatte anreissen zu wollen – für mich ist das ein männliches Thema, das viel mit Selbstbehauptung zu tun hat.

    1. In letzter Konsequenz für andere zu sorgen, halte ich allerdings auch für nicht ganz unerheblich für Charakterentwicklung. „Happiness is onyl real when shared“ (Chris McCandless) 😉

      Und schliesslich empfehle ich zum Thema noch „Die Wand“, als Buch oder Film. Geht beides.

  7. @ben_
    *naturromantikerfistbump*

    @b.
    die entfremdung die da erwähnst ist für mich persönlich schon ein sehr starkes gefühl. hier in der stadt ist mein leben eigentlich komplett losgelöst von den grundlegen natürlichen spielregeln. temperatur, tageszeit, jahreszeit, niederschlag, krankheiten, hunger, hygiene – das ist alles gepuffert und beeinflusst mich nur noch mittelbar. das ist natürlich fortschritt und echt knorke aber manchmal nervt dieses zeug nur – da will ich frieren, hunger haben, durch die dunkelheit stolpern, von käfern genervt werden, beton vergessen, autos vergessen und stinken wie ein iltis. das ist wahrscheinlich bei jedem anders ausgeprägt. entsprechend dieser veranlagung war der soziale, konfliktlösende weg zu den eltern für chris wohl schlicht keine echte option.

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