Ich war ja in Bremen und das nicht etwa, weil ich unbedingt den drittgrößten Weihnachtsmarkt Deutschlands besuchen wollte, nein! Ich als Schöngeist fühle mich zu Höherem berufen und nahm daher die intellektuelle Herausforderung eines Ausstellungsbesuches an. Und dann auch noch halbwegs moderne Kunst! Da musste ich jetzt erst mal eine arbeitsreiche Woche lang drüber meditieren, bevor ich das hier kommentieren kann.
Eine Ausstellung also, von diesem norwegischen Maler, von dem sie mal ein Bild geklaut haben, das es inzwischen als Regenschirm und als Eiswürfelform gibt.
Die Ausstellung selbst widmet sich dem „Rätsel hinter der Leinwand“. Damit ist ein Bild gemeint, das UNTER einem anderen entdeckt wurde, als man die Bespannung der Leinwand prüfen wollte. Dabei stellte man fest, dass nicht eine, sondern zwei Leinwände auf denselben Rahmen gespannt waren. Als man die obere dann abhob, entdeckte man ein vollständig fertig gemaltes Bild (von Munch gibt es unglaublich viele Skizzen, deswegen ist das schon was besonderes).
Link zum Bild (Bild entfernt, aus Gründen)
In der Ausstellung selbst wird einem zunächst erklärt, wie sie das Bild gefunden und restauriert haben und ab da wird es, was ich ganz rührend fand, immer als das „Bremer Bild“ benannt. Für jemanden, der noch nie Munch „in echt“ gesehen hat, ist es, glaube ich, ein wirklich schöner Überblick über die wichtigsten Motive (das ist ja recht überschaubar), über die Malweisen und auch die Zeichenkünste, ein Einblick in das Europa um 1900 und danach. Deutlich wird auch, dass keine Reproduktion die tatsächliche Farbigkeit und emotionale Wärme der Originale rüberbringen kann. Das ist mir vor allem bei dem Emo/Gothic-Bild „Vampir“ aufgefallen. Ich meine, guckt mal selbst:
Link zur Bildersuche (Bild entfernt, aus Gründen)
Das sieht doch nach nicht allzu viel aus. Im Original wird der Kontrast zwischen der bläulichen Gesichtsfarbe des (trotzdem nicht unglücklich wirkenden) Mannes und den zwischen Blut- und Hennarot changierenden Haaren der Dame viel deutlicher. Wenn man ein paar Räume gesehen hat, wird klar, was für ein einsamer Mann, oder zumindest für die Einsamkeit sehr sensibler Mann, Munch gewesen sein muss. Da wirken dann die Merchandise-Artikel Regenschirm und Eiswürfelform gar nicht mehr so deplatziert.
Ich könnte stundenlang über die Feinheiten von Gesichtsausdruck, Körperhaltung, Stimmung in Landschaften, tiefere Wahrheiten über die Natur der Frauen und Männer und emotionale Verstrickungen schreiben und doch möchte ich viel lieber sagen: fahrt nach Bremen, guckt es euch selbst an.
Die Ausstellung ist gut dokumentiert, man bekommt genug erklärt um nicht ewig rätselnd vor irgendwelchen Allegorien zu stehen, wird so behutsam auf die jeweiligen Besonderheiten hingewiesen, dass man auch noch was selbst entdecken kann, die ganze Gestaltung ist unaufdringlich und rückt die Werke ins allerbeste Licht. Es ist auch nicht zu voll, obwohl die Kunsthalle selbst diesen Eindruck hin und wieder vermitteln möchte, da sie komplizierte Zeitslot-Karten verkaufen, aber das braucht es eigentlich nicht. Ich war an einem Samstag vormittag drin und nachdem man sich an zwei, drei Gruppen vorbeigeschoben hatte, konnte man alles in Ruhe angucken. Der Rest der Kunsthalle ist übrigens auch nicht zu verachten, aber ich habe nicht so ein großes Interesse an den alten Meistern und außerdem war da meine Aufnahmefähigkeit erschöpft – die großen Namen habe ich nur noch wohlwollend zur Kenntnis genommen und auf die „für später mal“-Liste gesetzt.
GUCKT MEHR MUNCH!